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katalog michel saran - malerei, galerie ileana popescu (textauszug) von ingrid saran
 
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spiel - zeuge von andreas beumers
 
ein donnerstag im april von norbert schmalen
 
scheinwelt der kinderspiele entlarvt pressetext rheinische post
 
übermalungen von andreas beumers
 
 
Textauszug Katalog Michel Saran - Malerei
Galerie Ileana Popescu
Michel Saran, Maler
oder Leben mit Kreidegrund,
Keilrahmen und Kobaltviolett,
Leben mit dem Phänomen Farbe Form Fläche,
dies alles: unverfälscht.
Cadmiumgelbes Ja Nein Wenn Aber Trotzdem Leben
auf weißer Grundierung,
Leben
aus
dem
Zwerchfell
malen
ist
Farbe
Leben
Michel Saran, Maler

Ohne Argwohn wachsam, Fragezeichen ob freundlich mit Engagement oder zuvorkommend ohne, von bärenhafter Spontaneität (nämlich Saran), so traf ich meinen Mann im Jahr 1963
Die erste Konfrontation DDR Bundesrepublik hatte 1961 stattgefunden, die Auseinandersetzung fand auch 1963 noch statt.


Vom sozialistischen Realismus in eine Hier ist alleserlaubt Malerei, von schulischer Strenge in die sogenannte akademische Freiheit unfreiwillig (zufällig) übergewechselt, entstanden Bilder, deren Wert heute vorrangig darin liegt, daß sie Arbeiten aus der Probierstube waren, Zeugnisse menschlicher und malerischer Probleme, gemalte Ventile, bodenlos, ohne Strukturprinzip, ohne Ideologie, Hinundher eines Malers, der sich nicht entscheiden wollte und konnte, seine Sprache zu sprechen.
Mit Ausnahmen. Und diese Ausnahmen waren es, die dem Menschen Saran in seiner Eigenschaft als Maler (nach seiner eigenen sehr kritischen Meinung) Existenzberechtigung gaben.
In dieser Zeit entstanden Bilder wie "Stilleben auf rotem Teppich" und "Schule in der Kronprinzenstraße".

Ohne Zweifel lassen sich die folgenden Jahre in einzelne Perioden gliedern, von naturalistischer Gegenständlichkeit bis zu Bildern ohne erkennbaren Gegenstand. Die Porträtmalerei wurde (neben Akt und Stilleben) zum wichtigen Bestandteil der gesamten Arbeit.

Von hierher gewann in den nächsten Jahren zweierlei an Bedeutung: das Bekenntnis zur Fläche und das Thema.
Ich erinnere mich an eine Stelle in einem Brief, wo mein Mann schreibt: "Selbst wenn ich ein Stilleben malen will es wird immer eine Frau daraus. Also, was tu ich? Ich male eine Frau."
Variationen über ein Thema: Frau: niemals nur, immer auch: Sandkistenfrau, Mondsteinmädchen, Viper: Frau: Öl auf Leinwand.

Zwei Umstände sind bis heute für den Entwicklungsprozeß bereichernd gewesen: die Tatsache, daß wir aufs Land zogen und die Arbeit als Kunsterzieher.
Das, was die einen als Dummheit, die anderen als freiwillige Isolation bezeichneten, war der Schritt in eine Welt, die die Stadt als anregend empfindet, als aufregende Köstlichkeit: ein Monstrum, das man bestaunen kann, bewundern aus der Distanz. Ein Stück Leinwand aber durch die Blätter einer Sonnenblume betrachtet ist ohne Neid. Neidisch macht die natürliche, weil wahrhaftige, Unbefangenheit einer Schülerarbeit.
"Ein Stein ist ein Stein. Wenn ich, Saran, ihn verändern will, maße ich mir an, es besser zu können als die Natur. Und die kann es verdammt gut. So gut, daß ich sie verändern will, Ein Telefondraht? Oh, das ist eine wunderbare Einrichtung."

Maler landen nicht auf Telefondrähten.
Sie sitzen in Pfirsichbäumen
und bauen im Juni Schneemänner aus Apfelblüten.

Süsterseel, im Oktober 1969

Ingrid Saran

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Betrachtungen

von Ingrid Saran

In einem bissigen Aufsatz schreibt Anna Lenk zum Thema der Voreingenommenheit bei der Bildbetrachtung: "In ihrer Eigenschaft als visuelle Kunst fordert die Malerei zunächst das Auge des Betrachters, nicht seine Meinung" (Ende des Zitats). Bei dem Versuch, die eigene Art und Weise des Betrachtens chronologisch aufzuschlüsseln, bin ich zu folgendem Ergebnis gekommen: der Vorgang des Betrachtens ist ein Prozeß, in dessen Verlauf Muße und Aufnahmebereitschaft, Ruhe und Bewegung einander ablösen bis zum Erhalt von Information und Mitteilung. Hiermit endet das, was ich den Zustand der reinen Wahrnehmung nenne, der abgelöst wird von der von Kagan beschriebenen "direkten Auseinandersetzung mit dem Bildwerk", eine Auseinandersetzung, die ohne das Einbringen der eigenen Persönlichkeit, ihrer Weltanschauung, ihrer Träume, Ideale und Wertvorstellungen nicht möglich ist. In der Folge werden nicht zuletzt gerade hierdurch neben Zustimmung und Bejahung auch Irritation und Zweifel freigelegt, denn der Boden, von dem aus der Betrachter fortan in das Geschehen eingreift, ist nun der vertraute Boden der eigenen Welt und ihrer Ordnungskriterien. Plötzlich muß sich das Bild an ihnen messen. Die erhaltene Information obwohl Ergebnis der interpretierenden Betrachtung wird zur suggestiven Aussage des Malers. Kann der Betrachtende sich hiermit identifizieren, wird er sie vorbehaltlos annehmen, kann er es nicht, gerät er in einen Dialog, der zum inneren Streitgespräch mit dem Autor und seinem Werk führt.
Nach meiner Erfahrung unterscheidet sich das Ergebnis von Bild zu Bild und kann sowohl Zustimmung als auch Ablehnung sein, die sich neben ihrer Gegensätzlichkeit in einem gleichen: beide sind erworben. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zu jenem Betrachter, der mit vorgefaßter Meinung an ein Bild herantritt, dessen Erwartungshaltung zwingend und starr die Aufnahme der Mitteilung verhindert, der selbst mitteilen will und nicht die eigene Person einbringt, sondern Seh Gewohnheiten, die gewöhnlich auf den Erkenntnissen der Vergangenheit basieren. Wer aber in unserer Zeit das ästhetische Empfinden beispielsweise des 19. Jahrhunderts zum Anspruch erhebt, wird schwerlich Zugang finden. Jeder originale Künstler ist wenn nicht seiner Zeit voraus so doch immer Vermittler oder Sprachrohr seiner Zeit, wobei er an empfindlichster Stelle ansetzt, nämlich da, wo die Zeichen noch nicht eindeutig sind, noch nicht Allgemeingut. Das schafft Verunsicherung. Der Betrachter fühlt sich nicht zu unrecht zum Alleingang gezwungen und beginnt nach meiner Beobachtung heftig mit Worten zu hantieren, rationell zweckgebunden zu fragen, um schließlich die Flucht in das Bekannte anzutreten, das herkömmlich Bekannte und Anerkannte. Was ein Wagnis hätte werden können, wird zum Ruf nach schmerzfreier Erbauung. Ich nehme es vorweg: Erbauung habe ich in 23 Jahren bei den Bildern Michel Sarans nicht gefunden. Sollte es jemals Bedürfnisse dieser Art in mir gegeben haben, so hat mein Lehrer sie in eben diesen 23 Jahren schnell, gründlich und nachhaltig abgebaut. Kunst als ständige Auseinandersetzung zum einen, als ständige Erweiterung der Seh Erfahrung zum andern ist zur Gewohnheit geworden, die sich weil immer wieder Neues sichtbar gemacht wird, was vorher in der Weise nicht existierte Bequemlichkeit nicht leisten kann. Das Mit und Nacherleben der Bilder meines Mannes hat im besonderen über die Jahre hinweg eine Vermutung bestätigt, die ich heute als Feststellung treffe: es gibt keine unumstößliche Interpretation. Dasselbe Bild kann unter veränderten äußeren oder inneren Bedingungen erheblich abweichen vom ersten, zweiten oder dritten Deutungsversuch. Dasselbe Bild kann im Wechsel von Tages und Jahreszeiten, im Wechsel von Gefühlen, kann durch Bewußtseinserweiterung etwas Neues, vorher nicht Gesehenes aufweisen. Eine Feststellung, die immer auch Rückschlüsse auf die eigene Person zuläßt.
Die hier ausgestellten Öl Folien Bilder sind (mit einer Ausnahme) alle in den achtziger Jahren entstanden. Ihnen allen gemeinsam ist die Verwendung von Öl und Metallfolie, ein Material, das auf Grund seiner Beschaffenheit 'hart im Öl' steht und dessen Anzahl, Größe und Struktur auf unterschiedlichste Weise verwendet wurden. Stellt man die einzelnen Folienstücke in Beziehung zueinander, läßt der 'Fremdkörper' Folie die vertrauten Formen von Quadrat, Recht oder Dreieck bis zur klassischen Diagonale erkennen. Die Folienteile vor dem eigentlichen Malvorgang in oder auf die Grundierung geklebt sind Schrittmacher der Bildidee und verlieren als Individual Einheit nie ihre Eigenständigkeit innerhalb des Gesamten, auch dann nicht, wenn ihre Integration vollkommen scheint. Das Material Öl nähert sich stets behutsam dem Gegenspieler. Selten nur greift es in die Struktur und damit in die Belange der Folie ein. So respektlos, so unbekümmert und bedenkenlos die Farbe der Farbe teilweise begegnet, so sehr ist diese gegenüber der Folie um Respekt, um Höflichkeit bemüht. Da, wo Farbe auf der Folie erscheint (beispielsweise im roten Bild oder in "Pallas Athena"), liegt mehr eine formal ästhetische Notwendigkeit des Gesamten vor als die Absicht der Obertrumpfung: wenn überhaupt mehr spielerischer Hieb als generelle Kampfansage.
Eine weitere Gemeinsamkeit liegt in der Auswahl von Sujet und Thema. Neben dem Hauptthema 'Frau' erscheinen Köpfe, Hände, Körperhaftes, Vegetatives, vereinzelt Tiere, Zeichen von allgemein verständlichem Informationswert und schließlich Symbole, Merkmale, deren Sinn nicht ohne weiteres erkennbar ist.

Gleichwohl sind diese als geheimnisvolle Bedeutungsträger weniger verwirrend, als die vertrauten Zeichen in ihrer formalen und inhaltlichen Veränderung, Konstellation und Umkehrung: Krone/Arkade, Sonne/Säge, Tür/Brücke, Blatt/Fisch, um einige zu nennen. Durch das mehrfach interpretierbare Zeichen wird der Betrachter zum Nachrichtenempfänger mit immer neuen Assoziationen, die Betrachtung gerät zur Fragestunde, zur Befragung der eigenen Person und ihrer Besonderheit. Die Deutung der Gegensätzlichkeit von Eule und Schmetterling/Weisheit und Flüchtigkeit ("Lotos"), die Deutung der Koexistenz von anorganischer Folie auf Jute und Holz obliegt dem Betrachter. Wenn er seine Wahrnehmungsfähigkeiten ausschöpft, wird er zunächst vielleicht unbewußt das Orgiastische der "Susanna" ebenso zügellos wie schwärmerisch mitgenießen, wird er im "Maisgott" andere elementare Bestandteile der Zeichen bemerken, zum Beispiel neben der Form die Helligkeit, wird im roten Bild Farbe in ihren vielfältigen Abstufungen erleben und würde er mit dieser gewonnenen Kenntnis zurückkehren zur "Susanna" hätte er die Begründung für sein spontanes Empfinden des Ober Lebhaften, weil alle Faktoren zusammen und hier besonders durch die geballte Anhäufung sich ihm als Bewegung vermitteln. Turbulenzen wie in "Danach" erwecken augenblicklich den Eindruck der Maßlosigkeit, doch ohne Zweifel: das Chaos ist organisiert. Auch in diesem Zusammenhang hat die Folie ihre unumstößliche Bedeutung, indem sie ungestüme Störungen blockiert und damit Zügellosigkeit verhindert, indem sie ablenkt, Blicke anzieht wie Fensterscheiben oder Spiegel unsere Blicke anziehen: aus Neugier, Eitelkeit, aus Wissensdrang.
Im Kontext entstehen nach solch bewegungsreichen, heftigen Bildern manchmal solche, die auf mich den Eindruck machen, als sei hier aus dem Überangebot an Ideen und ihrer Verwirklichung so etwas wie Sehnsucht nach strenger Einfachheit entstanden. Das "Zeichen" gibt hierüber Auskunft und ist gleichzeitig Ausdruck der Freude am Experimentellen insofern, als daß es sich isoliert behaupten muß, dasteht ohne direkte Korrespondenz zu seinen Artgenossen, ihrem Bezug zueinander und den zahlreichen Formqualitätskontrasten wie eckig und rund, freispielend und geometrisch, symmetrisch und asymmetrisch, das eine wie das andere hinsichtlich der Bildaussage von Bedeutung, Assoziationen drängen sich auf von Lebenszuständen und situationen: der Mensch in der Geborgenheit der Gruppe und demgegenüber der Mensch in der Isolation.
Ich bin nicht sicher, ob nicht manches Lob für den Porträtisten Saran ausschließlich im schnellen Erkennen, in der raschen Informationsverwertung zu suchen ist und damit an der Oberfläche hängenbleibt. Sieht man von Begabung und handwerklichem Können ab, die schlichtweg Voraussetzung sind, liegt die Qualität eines Porträts für mich nicht und schon gar nicht an erster Stelle im Grad der Ähnlichkeit. Jedes, selbst ein schlechtes Foto kann diesen Anspruch erfüllen. Das qualitativ hochstehende Porträt oder Bildnis wird das Wesen des Dargestellten hervorbringen, Wesensmerkmale aufzeigen, die weit über den Ähnlichkeitsgrad hinausgehen.
Als vor kurzem der ehemalige Propst von Heinsberg, Wilhelm Willms, vom bayerischen Fernsehen porträtiert wurde, geschah dies unter dem Bildnis, das 1985 entstand. Der Bildregisseur ließ die Kamera abwechselnd den Interviewten und den Dargestellten zeigen, was eine Zuschauerin und gute Bekannte so kommentierte: "Ich habe im Augenblick nicht gewußt, ist das nun der lebende Willms oder der gemalte." Sicherlich spielt die meßbare Ähnlichkeit und Realitätsnähe auch eine Rolle. Gleichwohl glaube ich, daß diese Irritation nur geschehen konnte, weil entscheidende Merkmale erfaßt wurden. Da das Bild im Unterschied zu Wirklichkeit und Film weder taktil noch auditiv, sondern nur visuell wahrgenommen werden kann, scheint mir dies umso überzeugender. Intuition und Einfühlungsvermögen spielen beim Porträt eine weitaus größere Rolle, als es die strenge Konzeption erkennen läßt. Ohne eine eigene Kultur des Betrachtens aber sind weder die Porträts noch die Bilder zu entschlüsseln.
Die jahrelange Beschäftigung meines Mannes mit chinesischer Philosophie, die jahrelange Verehrung des Indianischen, also einer versunkenen Kultur, mag dem ein oder anderen Betrachter als Hinweis dienen, wenn ihn Fremdartiges im Detail in der Weise zu verunsichern droht, daß er aus dem Bild aussteigt, noch ehe er den Einstieg gewagt hat. Als übergeordnete Deutung gilt für alle Bilder etwas, was mit der Suche nach Gleichgewicht bei gleichzeitiger Kenntnis des Vorhandenseins von Gegensätzlichkeiten zu tun hat. Das Zusammenstehen des scheinbar Unvereinbaren, formal die scheinbar unvereinbaren Materialien, inhaltlich das dunkle und das lichte Prinzip, das weibliche das männliche, Yin und Yang.
In welchem Bild auch immer die Lust an Form und Farbe eskaliert, das Wilde das Sanfte bestürmt, das Neue das Alte herauslockt, kämpferisch hier, nachgebend dort, wo immer diese scheinbar unberechenbare Lust sich austobt, ist sie gebunden.
Jedes der hier ausgestellten Bilder gibt Auskunft darüber. Über die Disziplin der Komposition.
Ich bin sicher, er weiß, was er malt. An jeder Stelle.

Millen, im April 1986

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Suchbilder

von Hans Peter Thurn

Die Kunst des Malers Michel Saran nährt sich aus Quellen, die dem vordergründigen Blickverborgen, gar unvereinbar scheinen. Aus östlichen Gegenden stammend, fand er Behausung und Wirkfeld im äußersten Westen. Eine Strenge der Form, die eher nordisch anmutet, verwandelt sich ihm immer wieder zu südlicher Gelöstheit. Vom Handwerklichen bleibt er fasziniert selbst dort, wo er mit Pinsel und Zeichenstift, auf Leinwand, Papier oder Holz spirituellste Wege beschreitet. Er, dem das Schaffen Kraft und Kontur gibt, weiß auch um dessen schwächende Zeiten, von der Selbstverzehrung im Suchen und Finden, vom schwierigen Gang auf den unsicheren Pfaden einer wankelmütigen Öffentlichkeit. Die Last der Vermittlung ist ihm nicht fremd.
Was den in der Mitte seines Schaffens und Wirkensstehenden, sich noch immer entfaltenden Künstler hierher trug, ist in manchem gewiß, kann in anderem nur vermutet werden. Schon immer bewegten sich wohl die Sarans entlang realen oder symbolischen Grenzen, mochten sich aber nicht einengen lassen, wiesen und gingen über die Schranken, jenseits deren lockende Regionen sie riefen, in Fernen, aus denen dieser und jener Vorfahr gekommen sein muß. Mag auch die Herkunft des Namens nicht eindeutig klärbar sein, so verweist doch seine Seltenheit auf zugereiste Träger, sein Klang nach Südeuropa. Kann es da Zufall sein, daß sich Sprach , Literatur und Religionsforscher, also Verständigungskundler mancher Art, unter diesem Namen zusammenfinden? Daß die Beschäftigung mit dem Sehen, die Korrektur des Blicks, die Schulung des Auges der Familie Beruf ward? Seit jeher, so scheint es, wollten Träger dieses Namens ihrer Mitwelt von Entlegenem künden, wollten ihr zu besserer Orientierung verhelfen, zum Kenntniswandel in Ich und Du, bei Mensch, Tier und Pflanze, unter Ideen und Dingen.
Auch der Künstler Saran schlug diesen Weg ein, vereinigt in sich mehrere Perspektiven. Nachdem er mit seiner ersten Berufsausbildung zunächst die Laufbahn des Vaters betreten hatte, verließ er sie zwar äußerlich, machte sie nicht zum Broterwerb, doch lediglich, um die Auseinandersetzung mit den geistigen Problemen des erlernten Metiers andernorts und mit neuen Mitteln zu intensivieren. Was der Optiker nur korrektiv vermag, wollte Saran fortan als Künstler kreativ betreiben: das Zerlegen und Zusammensetzen des Schaubaren um neuer Ansichten und Einsichten willen. Nachdem er in Dresden einige Semester lang freie Malerei studiert hatte, zog es ihn aus inneren und äußeren Gründen fort. An der Kunstakademie in Düsseldorf führte er sein Studium weiter, lotete er seine Begabung aus, schulte sich technisch, entwickelte seine schöpferische Konzeption. Ferdinand Macketanz, seinerseits Schüler von Heinrich Nauen und dem Süden mental wie künstlerisch zugetan, machte Saran 1965 zu seinem Meisterschüler.
Von den vielfältigen Anregungen, die er in diesen frühen Jahren erfuhr, spricht Saran stets mit Wertschätzung. Zumal die französische Kunst und Lebenskultur prägten ihn nachhaltig. Nie scheint er des Henri Matisse Mahnung, die Kunst müsse bei aller inhaltlichen und formalen Problemdarbietung eine freundliche Grundstimmung enthalten, vergessen zu haben. Dementsprechend finden Sarans Bilder wie im Kompositorischen so auch in der Farbe zu einem unaggressiven Gleichgewicht. Selbst dort, wo in Gemälden oder Gouachen ein Schwarz die Bildwirkung nachhaltig mitbestimmt, macht sich keine Düsternis breit, erfährt vielmehr die Leuchtkraft der Grüns und Gelbs, der Blaus und Rots eine kontrastierende Unterstützung. Nicht um Clairobscur Malerei in traditioneller Manier ist es Saran zutun, sondern um das malerische Ausschöpfen möglichst vieler farblicher Kombinationsmöglichkeiten im Spektrum zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Hell und Dunkel, zwischen Licht und Schatten. Dabei sind Umschlageffekte, der Alltagsgewohnheit zuwiderlaufende Wirkungen keineswegs ausgespart, vielmehr angestrebt und erwünscht: etwa wenn ein mattes Braun oder ein trübes Grün weniger Illumination erzeugen als ein in der Tiefe aufgehelltes Blau, ein farbig durchbrochenes oder in Grautöne zerfließendes Schwarz. Stets, und mehr noch in den neueren Aquarellen als in den Gemälden, ist der Betrachter aufgefordert, sich suchenden Auges zu entschließen, wo er Vordergründe und Hintergründe ansiedeln mag, welchem Erzählduktus er folgen möchte, wie er sensorisch ins Bild kommt bzw. es wieder verläßt.
Bei der Auseinandersetzung mit dieser gleichermaßen kompositorischen wie chromatischen Problematik hat sich Saran von der Gestaltung reiner Bildflächen zur Schöpfung komplexer Bildräume vorangetastet. Schuf er in seiner ersten Hauptphase während der sechziger und frühen siebziger Jahre figurative Werke, welche etwa menschliche Gestalten in zwar sektoraler Zerlegung, doch teilflächiger Monochromie darboten, so brach er in den achtziger Jahren das derart gewonnene Syntheseprinzip wieder auf, differenzierte seine Kompositionstechnik erheblich aus und ließ den großflächigen Farbauftrag hinter sich. Daß ihn diese Öffnung des Bildraums, die künstlerische Konfrontation von Zweidimensionalität und Dreidimensionalität, vom Visuellen ins Haptische führte, erscheint nur folgerichtig. Die Auseinandersetzung mit der zunächst malerisch erforschten Polyperspektivität wollte auch plastisch geführt werden, drängte aus der Ebene der Tafelmalerei fort. Bildapplikationen wie die wiederkehrenden Silberfolien, reliefähnIiche Objekte, Halbplastiken in Gestalt von Masken, schließlich freistehende Rundumskulpturen aus vorgefundenen Materialien (Brettern, Latten, Blech, Nägel etc.): sie alle markieren Stationen auf dem skizzierten Weg, bezeugen Sarans experimentelles Ringen um den künstlerisch aussagbaren Imaginationstraum, erweiten zugleich im Laufe der Jahre das Werkpanorama.
Solchen gelungenen Ausflügen ins Skulpturale zum Trotz wird jedoch nicht fehlgehen, wer in Michel Saran einen genuinen Maler erblickt. Noch dort, wo in ihm, wie auch früher nicht selten, der Zeichner hervordrängt, gewinnt immer wieder ein malerischer Gestus die Oberhand. Die von asiatischer Kalligraphie inspirierten Gouachen der letzten Zeit bezeugen dies einmal mehr. Ihre Grammatik mit weichkonturigen Farbzonen, mit Linienschwüngen, Strich und Punktadditionen kennt, nutzt auch der Maler. Saran ist als Zeichner zugleich Maler, als Maler ebenso Zeichner, stets beides zugleich und alles in einem. In seinen Werken setzt er Linie und Fläche in eine Beziehung zueinander, aus deren produktiver Spannung erst der Bildeindruck insgesamt ersteht.
Dieses kompositorische und farbliche Vexierspiel ist auch inhaltlich anzutreffen. Der Formensprache von Öffnung und Verdichtung, von Spitzem und Rundem, von Weiche und Härte, von Draufsicht und Durchblick gesellt sich ein wiederkehrendes Dialogmuster bei, das von Gelingen und Vergeblichkeit, von Hoffnung und Verzagen, vom Freudeschwung und der Schmerzlast menschlicher Kommunikation kündet. Ob Selbstbefragung oder Zwiegespräch: die Menschen dieser Bilder scheinen einander zu und abgewandt, ratlos und ratsuchend zugleich, in Schweigen und Schrei gebannt, zwischen Entbergung und Verhüllung hin und hergerissen. Auch die kalligraphischen Gouachen muten hier und dort wie ihrer Gestaltfindung ungewisse, sich selbst nicht minder als den Betrachter bezweifelnde Physiognomien an.
Jene Balance, welche Sarans Bilder in Komposition und Chromatik, Rhetorik und figurativer Abstraktion zu wahren bestrebt sind, ist mithin für ihre Gesamtsemantik entscheidend. Diesem Anliegen verleiht die Symbolsprache des Werkes zusätzliche Impulse: Augen und Fenster, Vögel sowie Schmetterlinge erinnern an ein Freiheitsbedürfnis, das sich seiner Fesseln doch nie wird ganz entledigen können. Ob der Falter zum Flug ansetzt oder von ihm ausruht, bleibt, wohl absichtsvoll, unklar. Beides ist ihm beschert wie dem Auge die Träne als Ausdruck von Freude und Schmerz. Dieser Rätselcharakter, den Saran seinen Bildern im Ganzen wie im Detail verleiht, das Innehalten zwischen Konkretion und Abstraktion, ein Schweben, statischer und dynamischer Energien gleichermaßen bedürftig: all dies verweist auf den änigmatischen Charakter menschlicher Existenz, ja allen Daseins. Indes: der Mensch, ahnend, an welche Tiefen er gelangt, wenn er alldem nachgründet, sucht aus der durch Erkenntnis verdoppelten, weil zugleich existentiellen und sinnhaften, Not eine Tugend zu machen, indem er sein Leben als jene Maskerade inszeniert, die Saran in seinen Bildern ebenfalls kommentiert. Daß er dabei auch Heiterkeit aufkommen läßt, mit Ironie spielt, neben dem Weinen das Lachen nicht vergessen macht, zum Schmunzeln anregt, ist des Künstlers Hinweis, die Kunst möge sich dem Ganzen, der Vielfalt des Lebens widmen. Wer in den Bildern diese umfassende Botschaft erspäht, gewinnt durch sie an Lebenskunst.

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Michel Saran - Spiel - Zeuge

von Andreas Beumers zur Ausstellung im [kunstraumno. 10]


In den vergangenen Jahren stand der abstrahierte menschliche Körper, hier zumeist der weibliche, im Mittelpunkt der Arbeit des im Selfkant beheimateten Künstlers Michel Saran. Auch viele seiner neuen Arbeiten, die speziell für die Ausstellung im [kunstraumno.10] geschaffen wurden, beschäftigen sich mit menschlichen Figurationen. Entgegen seiner früheren Formensprache sind die neueren Darstellungen jedoch nicht länger schablonenhaft-flächig, sondern weisen, in Öl auf Leinwand gemalt, ausgeprägte Volumina sowie eine starke Farbigkeit auf. Kleine farbige Rechtecke dominieren den Bildeindruck und bilden eine Art Schleier, hinter dem sich das eigentliche Motiv abzeichnet. In der Sprache der "neuen Medien" würde man sagen, die Bilder wirken "aufgepixelt". Es ergibt sich dadurch eine gewisse Unschärfe, die den Betrachter dazu zwingt, genauer hinzusehen, um alle Details eines Gemäldes erfassen zu können.
Auf den ersten Blick wirken die Gemälde spielerisch, freundlich, fast harmlos. Unterstützt wird dieser Eindruck von der Motivauswahl. Neben dem menschlichen Körper sind Spielzeuge ein häufiges Thema, so z.B. eine Traktor oder ein niedlicher Teddybär. Schaut man sich die Bilder jedoch näher an, so wird die Harmlosigkeit schnell ins Gegenteil umgekehrt: So schaut zwischen den Beinen des Teddybärs eine Pistole hervor, die bereits in der Art, wie sie dargestellt ist, vielfältige Deutungen zulässt. Das zunächst harmlos Wirkende offenbart erst bei näherer Betrachtung seine tiefere Bedeutung. Diese Art von Hintersinn spielt in der Ausstellung "Spiel - Zeuge" eine große Rolle.
Vieles in unserer heutigen Zeit geht in der bunten Flut digitaler Bilder, die uns umspült, unter, und manch einem wird erst spät (oder gar nicht) bewusst, welchen Einflüssen er durch die Medien ausgesetzt ist. Vieles, was harmlos wirkt, zeigt oft erst später sein wahres Gesicht. Fernsehen, Video und Internet sind Medien, die unsere Gesellschaft verändert haben. Manches davon nimmt man zu selbstverständlich hin, ohne es zu hinterfragen. Die Arbeiten von Michel Saran wollen sicherlich nicht als Klage gegenüber den Medien verstanden werden, aber sie wollen zur Nachdenklichkeit anregen. Seien Sie also Zeuge des Spiels - und nicht der Spielball!

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Ein Donnerstag im April

Ein Schlag der Kirchenuhr in Millen. Die Glocke ertönt zu jeder halben Stunde einmal. In Konkurrenz dazu ein scheinbares Dauerläuten der Pendeluhr in diesem Raum. In der linken Ecke des Ateliers steht der Arbeitstisch von Michael Saran. Vor mir, zwischen einem Wust von Notizzetteln, Prospekten, Arbeitswerkzeugen, entdecke ich immer wieder neue Materialien: Ein Postkartenmotiv von Franse School, figurative Proportionsskizzen, eine schablonenhaft ausgeschnittene Frau aus grauer Pappe. Diese Fragmente einer Momentaufnahme beeindrucken mich. Sie stehen in direktem Bezug zu Michaels Ölbildern, die den Raum beherrschen.
Meine Blicke wandern hin und her. Im Moment steht der mittlere Bildteil eines Triptychons auf der Staffelei. Eine reliefartig aufgeklebte Holzfigurine beherrscht die Bildfläche. Das Bild beschäftigt mich, Das Bild muß mich beschäftigen, weil ich hier an diesem Arbeitstisch einen Text über Michaels neue Arbeiten verfassen will. Es bereitet mir Probleme, meine Gedanken in Worte zu fassen, in einer Sprache zu fixieren, die kunstwissenschaftlich und druckreif ist, die der Kunst gerecht wird. Ich habe andere Bilder erwartet, vielleicht "typische Sarans". Aber wie sieht eigentlich ein typischer Saran aus? Mir ist warm. Ich öffne das rechte der Sprossenfenster und setze mich auf die Fensterbank. Auf dem Boden liegt ein Haufen 20 bis 30 cm großer Pappschablonen. Menschliche Figurationen. Ein aus Pergamentpapier ausgeschnittener Körper bewegt ungleichmäßig das rechte, leicht angewinkelte Bein.
Warum braucht ein Buch mit Abbildungen von gemalten Bildern eigentlich einen Text? Welche Information ist wichtig? Ich erinnere mich an eine aktuelle Diskussion vor wenigen Tagen in Köln. Ilja Kabakov und seine Kunst war das Thema: Ein Text kann Anstoß für eine bewußtere Bild (Kunst )Wahrnehmung sein, kann eine Annäherung an die Person des Künstlers versuchen.
Meine Augen gleiten an einigen vollgestopften Fächern des Bücherregals vorbei. Ich ziehe ein quer auf anderen Büchern liegendes Taschenbuch hervor: "Die Begegnung Eine Erzählung aus dem Ural" von Dimitri Mamia Sibirijak. Die Musik irritiert mich. Es ist die CD "Easy Living" von Teddy Wilson. Ich bin kein Jazz Liebhaber.

Ein weiterer Donnerstag im April

Die senkrecht stehende Staffelei eine solide Holzkonstruktion, die durch sich summierende Farbreste allmählich zu einem autonomen Objekt wird - ist inzwischen von einem neuen Bild belegt: Öl auf Holz, 121,5 x 121,5 cm, aber nichtquadratisch wirkend. Eine reliefartig aufgesetzte Körperfläche aus Holz befindet sich auf weiß blau grau gemaltem Grund und nimmt etwa ein Drittel der gesamten Bildfläche ein. Der ausgeschnittene Körper, auf die symbolische Elementarform einer menschlichen Gestalt reduziert, wird erst durch den Malduktus zum "lebenden" Körper. Die Rückenansicht motiviert zu "persönlichen" Assoziationen.
Michael nimmt einen mittelgroßen Pinsel zur Hand: "Ich muß die Frau richtig hinkriegen, alles andere ergibt sich dann von selbst."
Es riecht nach Ölfarbe. Die Musik hat gewechselt, Reaggae dröhnt im Wechselspiel mit dem mitpfeifenden und malenden Saran. Die Farbe landet leichtfüßig und wie von selbst auf der angepeilten Stelle, mit sportlicher Intensität, expressiver Armbewegung und hoher Konzentration. Es ist Kobaltblau: "Ein freundliches Blau, so lebendig. Man sagt auch Königsblau dazu. Dagegen ist Preußischblau eine furchtbare Farbe! Ultramarin ist mir auch sehr wichtig. Es ist eine empfindliche Farbe. Kobaltblau dagegen, einmal aufgetragen, ist schwer zurückzudrängen."
Ich versuche, meine Gedanken zu konkretisieren. Im unscharfen Randbereich meiner visuellen Wahrnehmung sehe ich silhouettenhaft die immer heftiger werdenden Handbewegungen. Der Malgrund aus Holz gibt schräge Geräusche von sich. Jedes Holzgeräusch ist anders, so wie jeder Pinselstrich und die Intensität des Pinselaufdrucks niemals gleich ist.
Eine Linsentopfdose (tischfertig mit durchwachsenem Speck), feinsäuberlich vom Inhalt und Deckel befreit, dient als Wasserbehälter für die Borstenpinsel und feinen Naturhaarausführungen. Michael fixiert in der linken oberen Bildhälfte
wolkenartige grau schwarze Strichaglomerationen. Im Umfeld des Kopfes der weiblichen Rückenansicht entwickeln sich kobaltblaue Flächen, die sehr dominant sind. Die Musik: Tom Waits, "Blue Valentine".
Die drei Bildelemente des vor wenigen Tagen vollendeten Triptychons lehnen in willkürlicher Reihenfolge an willkürlichen freien Wänden bzw. vor dem schwarzen Lackflügel. Die Farbigkeit und die Komposition erwecken bei mir Assoziationen, wie aufbrechender Wolkenhimmel, ein im Universum auftauchendes Kreuz . . . Ein etwa 30 cm breiter brauner Balken am unteren Bildrand verleiht der Komposition die "nötige" Schwere, hart grenzend an ein scheinbar monochromes weißes Quadrat. Doch das Wichtigste: Meine Augen können sich dem von drei Seiten umrahmten Fensterdurchblick nicht entziehen. Der ins Endlose führende Blick findet im hellen Rot-Weiß seinen Halt. Das Unendliche wird zu einer Wand. Das Triptychon besteht aus autonomen Einzelbildern, die wiederum Bild im Bild Kompositionen enthalten. Konstruktivistische Momente konkurrieren mit prozeßhaften Malaktionen. Die Elemente ergänzen sich, bilden eine spannungsgeladene Harmonie, stehen plötzlich im Widerspruch zueinander.
Saran beherrscht das formale Potential der bildnerischen Gestaltung. Seine Bildkonstruktionen initiieren durch die Überwindung der stilistischen Konsequenz eine Innovation des Gewohnten. Dem Konzept liegt Freiheit und Ehrlichkeit der Künstlerpersönlichkeit zugrunde. Es kann sich demzufolge in einem kreativen Freiraum unabhängig von den Einflüssen des Kunstzeitgeistes konsequent weiterentwickeln.


Michael hat Kaffee gekocht. Mal wieder. Er läßt sich an seinem Arbeitstisch nieder, den ich so lange beschlagnahmt habe.
Ein DIN A4 Briefumschlag, der als Massendrucksache einen Werbeprospekt von Nürnberg nach Millen befördert hat und seit einigen Tagen im geordneten Chaos liegend schon einige Kaffeeränder abbekam, muß als Malgrund herhalten. Michael greift zu einem Pinsel Pinsel liegen in dieser Wohnung überall , tupft ihn in einen gelben Farbrest und läßt mit einer einzigen schnellen Handbewegung einen Frauenkörper entstehen, eine Gouache, deren Intensität durch jede Vorzeichnung zerstört worden wäre.
Nichts ist hier künstlich. Alles ist Realität, Kunst, Saran.
Michael spricht nicht von seiner Kunst. Er spricht von seiner Malerei, von seinen Bildern. Ich schraube die noch offenen (immer offenen?) Ölfarbentuben zu: Umbra gebrannt, Ultramarin dunkel, Lichter Ocker, Elfenbeinschwarz.

Norbert Schmalen

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Scheinwelt der Kinderspiele entlarvt

Rheinische Post, 25. Juni 2004, von Barbara Maiburg

Auf den ersten Blick ganz harmlos, meist farbenfroh kommen die "Spiel-Zeuge" des Künstlers Michel Saran daher. Die Bilder der gleichnamigen Serie haben Puppen, Teddys und Helden diverser Zeichentrickfilme und Computerspiele als Vorlage. Malerisch verfremdet und in grober, farblich changierender Rasterung aufgelöst, wirken die Gemälde wie computertechnisch gepixelt und vergrößert. Erst aus der Entfernung fügt sich das Bild zusammen, erst bei genauerer Betrachtung lassen sich die skurrilen, oft makabren Details entdecken.
In Sarans Spielzeugwelt brodelt es gewaltig. Bedrohlich der "Papagei mit Handgranate" sowie der "Teddy geladen", der hinterrücks die Pistole zückt. "Nemo an der Angel" zerstört ebenso wie die "Babypuppe mit Küchenmesser" die heile Welt des Spielens. Nicht zuletzt mit "Lara Croft", der zierlichen, schwer bewaffneten Heldin eines Computerspiels, entdeckte Saran den Einzug der Aggression in die vermeintlich kindgerechte Spielwelt. In der Gruppe "Kalaschnikow" sind leicht verschwommen kauernde Gestalten, Kinder, zu erkennen, die Maschinenpistole im Anschlag.
Fotos aus der jüngsten Kriegsberichterstattung lieferten die Vorlage.
Die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit sind rasch aufgelöst. Michel Saran, 1938 in Halberstadt geboren, studierte an den Kunstakademien in Dresden und Düsseldorf und lebt seit 1971 in Millen/Selfkant. In seiner Malerei konzentrierte er sich verstärkt auf menschliche Figuren. Auch die "Spiel Zeuge" basieren auf jenem Gespür für Körperlichkeit.
Mit dem Rasterungs Verfahren verweist der Künstler bewusst auf digitale Bildverarbeitungsprogramme und knüpft zugleich an den Pointilismus an. Frappierend der Kontrast zwischen malerischem Farbenspiel und Ausdruck beziehungsweise Drastik der Darstellung. "Spiel Zeuge", Puppen und Teddys, werden personifiziert. So blickt "Verlorener Joe" traurig aus dunklen, weit aufgerissenen Augen, im Hintergrund zeichnet sich ein brennendes Szenario ab. "Bissiger Trecker" gleicht eher einer Kampfmaschine. Michel Saran entlarvt in seiner Malerei die Scheinwelt von Kinderspielen.

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Michel Saran - Übermalungen

von Andreas Beumers, 2011

Der menschliche Körper, zumeist der weibliche, steht seit langer Zeit im Mittelpunkt der Arbeit des heute in Erkelenz beheimateten Künstlers Michel Saran. Auch heute ist dieses Thema noch aktuell! Dennoch hat sich in seinen neuen Arbeiten viel gegenüber früheren Zeiten verändert. Porträt, Akt und Stillleben waren drei Genres, die die künstlerische Arbeit Michel Sarans prägten und teils heute noch prägen. Hervorzuheben an seinen Arbeiten ist die Besonderheit der bildnerischen Gestaltung, durch die Michel Saran seinen Arbeiten eine ganz eigene Handschrift verleiht. Bereits 1992 schrieb Norbert Schmalen: "Sarans Bildkonstruktionen initiieren durch die Überwindung der stilistischen Konsequenz eine Innovation des Gewohnten. Dem Konzept liegt Freiheit und Ehrlichkeit der Künstlerpersönlichkeit zugrunde. Michel Saran hat sich immer dadurch hervorgetan, dass er einen eigenen kreativen Freiraum unabhängig von den Einflüssen des Kunstzeitgeistes konsequent weiterentwickelte."

Als Künstler ist er ein Geschichtenerzähler. Seine Porträts sind nicht fürs schnelle Erkennen gemacht, der Blick soll nicht an der Oberfläche hängenbleibt. Michel Saran möchte den Betrachter in die Tiefe des Bildes mitnehmen und zum Wesentlichen führen. Mit seinem besonderen kompositorischen und farblichen Gestus will er Wesensmerkmale aufzeigen, die weit über den Ähnlichkeitsgrad hinausgehen. So erhalten viele seine Arbeiten Namen, die nicht auf ein eventuell vorhandenes Modell, sondern eher auf einen Menschentypus hinweisen und damit Ausgangspunkte für Bildwelten sind, die der Maler Saran dem Betrachter näher bringen möchte.

Dieses Umgehen von Vordergründigkeit, das Spiel mit Rätseln führte Michel Saran im Laufe seiner Arbeit immer mehr in die Abstraktion. Der Typus der Figur blieb zwar erkennbar, doch der gegenständliche, insbesondere der wieder erkennbare Akt wurde von ihm von vornherein als "Schwelgen in reiner Anatomie" verworfen. "Der Betrachter muss selbst erkennen, was er sehen will" ist eines seiner Motive, den Bildraum zunehmend stärker zu abstrahieren.

Ausgangspunkt für die aktuelle Phase seines künstlerischen Schaffens waren Übermalungen bekannter klassischer Bildthemen. Bilduntergründe waren teils Kopien bekannter Originale, die er auf Trödelmärkten fand, teils Reproduktionen auf Leinwand oder Papier. Die Überwindung der klassischen Malerei und damit der gegenständlichen Darstellung wurde durch diese Übermalungen in scheinbar radikaler Weise durch Michel Saran umgesetzt. Doch er wollte damit nicht den langen Prozess der Abstraktion, den die Malerei im 19. und 20. Jahrhundert durchlebte, im Eiltempo wiederholen, sondern vielmehr dem Betrachter ermöglichen, sich Selbst im Bild wiederzufinden. Die Suche nach dem "Dahinter" soll nur Ausgangspunkt für ein eigenes Erleben sein, zu dem die Malerei Sarans verhelfen will.

Die neuen Arbeiten Michel Sarans knüpfen an diese Entwicklung an. Ausgangspunkt sind klassische Porträts, die teils nach Modell, teils aus der Vorstellung des Malers entstanden sind. Halb verdeckt von Farbflächen und Pinselstrichen schweift der Blick des Betrachters wahrscheinlich zuerst auf den noch leicht erkennbaren Menschenkopf im Hintergrund. An der Form des noch Erkennbaren lässt sich vielleicht ausmachen, ob ein weiblicher oder männlicher Kopf Ausgangspunkt des Malprozesses war. Aus welchem Zusammenhang er jedoch extrahiert worden ist, lässt sich durch die Isolierung und malerische Verfremdung nicht sagen. Wesentlich scheint die Aussage, dass durch die Übermalungen ein neuer Bildraum geschaffen wurde, der Ausgangspunkt zum Nachdenken, zum eigenen Erleben gibt. Sucht der Eine nach dem "Dahinter", wird ein Anderer Neues erleben und sich von der Abstraktion leiten lassen, sich tiefer in die Bildbetrachtung zu versenken. Der Betrachter wird förmlich aufgefordert eigene Geschichten zu finden, die diese Bilder erzählen bzw. deren Ursprung in ihnen verankert ist. Die Übermalungen legen Zeugnis ab, dass Michel Saran mit seinen Arbeiten nichts verschleiern will, sondern im Gegenteil vielmehr Schichten des Erinnerns und Erkennens im Betrachter freilegen möchte.

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